"Verstehen" passiert nicht "automatisch", sondern heisst Vollzug aktiver Deutungsarbeit. Es erfordert "Divination", d.h. Einbringung des Individuellen in die Deutung als Vergleichung mit sich selbst." (Schleiermacher 1977)
In den Annäherungen und Deutung von Wort und Text, blitzt immer etwas Eigenes mit auf. Meine Funktion ist es, diesen Prozess anzuregen und den Fokus einerseits auf den Text und andererseits auf das Individuelle zu richten. Eine interessante zu mehr Selbsterkenntnis führende Pendelbewegung anzuregen.
"Poetische Texte sind Äusserungen, in denen uns durch die Abwesenheit geltender Verstehensnormen die Möglichkeit genommen ist, die tiefen Unklarheiten, die wir über uns selbst haben, hinter dem reibungslosen Ablauf der Alltagssprache zu verstecken" (Jäger 196, S.27).
Die Arbeit mit Gedichten ist darum besonders hilfreich, weil sie verhindert, dass uns der Verstand und die Logik ablenkt von uns unbekannten, vielleicht auch angstauslösenden eigenen Persönlichkeitsanteilen. Es ist eine besondere Hingabe erforderlich, sich auf nicht explizit Verständliches einzulassen. Meine Funktion ist es, wenn erwünscht, etwas aus dem grossen Feld der Gedichte anzubieten und Zugänge zu schaffen, die insbesondere zu mehr Selbsterkenntnis führen. Oder jemand bringt ein Gedicht mit, dass sie/ihn anspricht und wir schauen es genauer an, loten aus.